Buch Leseprobe "Das Mysterium der Suche"

Bleibt die Frage, wie die Figur des Bolling zu deuten ist. Die Tatsache, dass er ein Suchender ist, unterscheidet ihn von den Alltagsmenschen, deren Dasein er verachtet. Man könnte ihn einen Romantiker nennen, wären ihm nicht alle Wege zurück in die heile Welt der Vergangenheit – der Mythos vom alten Amerika – versperrt. Am ehesten trifft noch eine Deutung zu, wie sie Dieter Wellershoff in einem längeren Essay am Beispiel der Romanfiguren von Hemingway, Camus, Benn und Beckett als Typ des Gleichgültigen charakterisiert hat : Danach zählt für den Gleichgültigen nur das konkrete Leben, das er als reine Faktizität wahrnimmt und nur aus Momenten, Gewohnheiten, Bedürfnissen und sinnlichen Befriedigungen besteht; er ist Kenner des einfachen Lebens, in dem er sich eingerichtet hat, wenn auch auf Widerruf. Er verharrt in der Attitüde der gefrorenen Reaktion als letzter Station eines bitteren Lernprozesses: er glaubt nur noch an das, was er hat, alles andere – Ansprüche, Hoffnungen, Pläne – verschenkt er. Die scheinbar sichere Identität des Gleichgültigen beruht auf Verzicht. Es ist eine Ruhe nach dem Sturm, in Erwartung neuer Stürme, die er bestenfalls zu überleben hofft, und in Erwartung des Todes. Die vorweggenommene Auslöschung hat beides in ihm verschärft, das Bewusstsein seiner Überflüssigkeit und seiner Einzigartigkeit, seine Verachtung und seine Zärtlichkeit für das Leben.

Percys Hauptfigur kann als eine weitere Variante dieses Typus angesehen werden; zumindest gibt es erstaunliche Übereinstimmungen. Dies scheint auch Peter Handke in einer Nachbemerkung zum Roman im Sinn zu haben; jedenfalls sieht er in Percys Kinogeher ein(en) Held(en) ..., wie er nach Camus‘ Fremdem kaum mehr möglich schien.
     Die letzten Sätze des Epilogs nehmen noch einmal Bezug auf das Motto von Kierkegaard: Was meine Suche betrifft: ich bin nicht geneigt, noch viel darüber zu sagen. Erstens, wie der große dänische Denker erklärte, fehlt unsereinem die Autorität, über solche Dinge anders als erbaulich zu reden. Und zweitens ist es viel zu spät für Erbaulichkeit; die Zeit ist eine andre als die seine.
    Kierkegaard hatte über die Verzweiflung als unbewusstem Zustand gesprochen. Verzweifelt ist, wer keine Spur verfolgt, keine Neugier entwickelt, keiner Erkenntnis nachstrebt, keinen Ehrgeiz hat – also der Gleichgültige. Verzweifelt ist aber auch derjenige, der dies erkennt und sich damit nicht zufriedengeben will – einer wie Bolling, der eine biographische Transformation vom angepassten Durchschnittsmenschen zum Sucher durchlaufen hat, der aber mit seiner Suche letztlich gescheitert ist. Im Bewusstsein des Ungenügenden seines Lebens begibt er sich erneut, aber doch geläutert in die Attitüde der gefrorenen Reaktion als Gleichgültiger.
    Dieter Wellershoff hatte in seiner Darstellung des Gleichgültigen formuliert: Es ist der Schock des Glaubensverlustes, den bereits Kriegserlebnisse auslösen können. Es ist Kate, die diese einfache Wahrheit ausspricht. Als sie ihm vom Unfalltod ihres Verlobten erzählt, bemerkt sie scheinbar beiläufig: Daß er (der Tod, d. V.) mich zum Leben erweckt hat. Das ist mein Geheimnis, so wie der Krieg dein Geheimnis ist. Der Tod des Verlobten hat ihr unversehens den Raum zum Leben verschafft, so wie für Bolling der Krieg ursächlich für seine Suche war – für all seine Versuche, seinem Leben Sinn und Perspektive zu verleihen. Aber das ist immer nur eine Möglichkeit ohne Erfolgsgarantie. Dass all seine Versuche scheitern, lässt auf Seiten Bollings Ernüchterung eintreten, aus der er die defensive Konsequenz des individuellen Rückzugs zieht; damit weist Bolling alle Attribute auf, wie sie Wellershoff am Typus des Gleichgültigen ausgemacht hat.
    Die Suche selbst ist das Entscheidende, nicht ihr letztendlicher Erfolg; das könnte die Botschaft sein, die Percy uns vermitteln möchte.




<< Zurück