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Leseprobe
"Fallobst – Fragmente des Fragwürdigen"


Schon als Kind begann ich zu ahnen, dass das Leben zwei Seiten hat. Die eine, das war der Alltag, der mich aufsog und die Luft zum Atmen nahm. Ich begann erst zu leben, wenn ich mich dem entzog. Ich entsinne mich des Glücksgefühls, sobald ich der häuslichen Enge entkam und frei umherschweifen konnte. Plötzlich weitete sich der Horizont. Ich beobachtete das Spiel der Wolken und mir war, als würden sich die Geheimnisse des Lebens offenbaren. Zeit und Raum lösten sich auf. Dann wieder schien alles stillzustehen. Die Welt hielt für einen Moment den Atem an. In diesen Augenblicken überkamen mich gleichsam metaphysische Gefühle, die später nur noch als schattenhafte Erinnerungen wieder auftauchten. So wie Träume, an die man sich beim Erwachen nur noch vage erinnert. Und doch schienen sie einen Raum zu eröffnen, in den die Phantasie eintauchen konnte. Dachte ich später über all das nach, so fragte ich mich immer öfter, ob diese Poesie des Augenblicks, die ich erlebt hatte, nur in meiner Vorstellung existierte. War es nur eine Feier der Einbildung, die auf diese Weise ihren unerschöpflichen Reichtum entfaltet hatte?

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Kann man die Urmelodie der Welt erlauschen? Oder ist sie Antwortlosigkeit und Schweigen? Der Versuch, auf dem Boden des Unheimlichen heimisch zu werden, ist ein unhintergehbares Anliegen der Kunst und Literatur. Es ist der Versuch, die Zerrissenheit der Welt, ihre unerkennbaren Zusammenhänge sichtbar zu machen, auch wenn dies nur die Suche nach Auswegen ist. Es ist eine zutiefst absurde Situation zwischen Immanenz und Transzendenz. Selbst wenn da ein Licht wäre – vielleicht sehen wir das Licht des Anfangs nicht mehr und das Licht des Endes noch nicht. Was bleibt, ist das Streben nach Licht.



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