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Leseprobe
"Heimaten"
Berliner Kindheit
Am liebsten hielt ich mich in Omas Nähe auf. Sie war eine gute und leidenschaftliche Köchin, und ich bekam nicht genug davon, ihr beim Kochen und Backen zuzuschauen und dabei zu naschen; so manche Kniffe habe ich bis heute behalten und wende sie selbst an. Und mein ausgeprägter Geruchssinn geht wohl auch auf diese frühe Erfahrung zurück. Als in späteren Jahren, nachdem wir nach Wetzlar übergesiedelt waren, Pakete von den Großeltern kamen, und ich voller Neugierde und Spannung mit auspackte, schnupperte ich an den Gaben mit der Bemerkung: Alles riecht nach Berlin! Ob der mitgeschickte Kuchen oder der neue Pullover, den Oma für mich gestrickt hatte, für mich war darin der Wohlgeruch einer behüteten Kindheit, der eine Wehmut auslöste, denn ich sehnte mich später oft nach diesen Zeiten zurück. Noch Jahre nach der Trennung von den Großeltern empfingen wir diese Pakete mit Sachen, voller Liebe verpackt, die uns über die Runden halfen: Großmutter verstand es, uns Kinder einzukleiden; sie nähte wie eine gelernte Schneiderin, fertigte Hosen und Jacken an, die aussahen wie gekauft, sie strickte unsere Pullover und Socken aus Wolle, die nicht kratzte, weil sie um die empfindliche Kinderseele wusste, die auch auf der Haut sitzt.
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