Leseprobe Er machte eine längere Pause, so als würde er über das Gesagte nachdenken. Da ich weiterhin schwieg, fuhr er fort: Wäre es in meinem Leben nicht durch äußere Umstände zu einer gravierenden Veränderung gekommen, es wäre wohl noch jahrzehntelang so weiter gegangen mit mir. Aber dann verlor ich von heute auf morgen meine Arbeit. Nicht, dass mir sofort bewusst geworden wäre, was das für mich bedeutete: Ich hoffte, wieder Fuß fassen zu können und für kurze Zeit gelang es mir auch. In den erlernten Beruf zurück fand ich jedoch nicht. Er unterbrach sein Reden abermals und bestellte sich ein Getränk. Er wartete, trank einen Schluck und sprach dann weiter: Ich begann darüber nachzudenken, was man gemeinhin ‚den Sinn des Lebens’ nennt, über all die Absurditäten und Vergeblichkeiten, die das Leben mit sich bringt. Ob es wirklich die tägliche Arbeit ist, die das Leben ausmacht. Oder ob nicht ganz andere Dinge wichtig sind. ‚Erkenne dich selbst’, nannten das die Alten. Sie vergaßen jedoch uns zu sagen, wie man diesen Ratschlag befolgt. Oft saß ich nach dem Aufwachen noch lange auf dem Bettrand und dachte über all das nach. Aber je angestrengter ich nachdachte, desto mehr verschwamm mir alles. Wozu aufstehen? Die Zeit verging auch so. Ich hatte jedes Gefühl für sie verloren. Mir war alles gleichgültig. Aber die Gleichgültigkeit lähmt einen auf Dauer. Sie ist eine Art ‚vorzeitiger Tod’. An einem dieser Morgen, als ich wieder einmal allein in meinem Zimmer saß, durchzuckte mich ein Gedanke: ‚Eigentlich bist du mutterseelenallein, es ist keiner da, der dir hilft. Du kannst dir nur selbst helfen’.
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