Buch

Leseprobe
aus: Die Schatten werden länger - Journal 2016

Lese ein Interview mit dem Philosophieprofessor Herbert Schnädelbach, den ich noch aus Studienzeiten kenne. Er äußert sich über die missverständliche Verwendung des Begriffs westliche Werte bzw. westliche Wertegemeinschaft, die unsere Politiker und Medien so gern verwenden, um sich gegen fremde Einflüsse zu immunisieren. Er sagt: Zunächst sind Werte von den Normen abzugrenzen. Das wird oft unterlassen, und man behauptet dann, wir seien eine Wertegemeinschaft, aber das stimmt nicht. Unser Grundgesetz ist eine normative Ordnung, und bei Normen geht es um das, was geboten, erlaubt oder verboten ist; das aber ist bei Werten nicht der Fall. Werte sind dasjenige, das wir schätzen. Sie schreiben uns nichts vor. Deshalb ist es nicht ungefährlich, unsere freie Gesellschaft als Wertegemeinschaft zu verstehen. Werte sind immer umstritten, Bewertungen immer die Sache von Einzelnen oder Gruppen.
Rechtsordnungen, wie unser GG, lassen solche Beliebigkeiten nicht zu. Gegenüber diesem Normensystem sind wir zu Gehorsam verpflichtet
, während Werte sich mit den veränderten Lebensbedingungen auch verändern, sagt er weiter.
Normen haben mithin einen anderen Verpflichtungsgrad. Das gilt beispielsweise für die Würde des Menschen. Schnädelbach fährt fort: Der Staat ist der Menschenwürde bedingungslos verpflichtet; es gibt hier keine Abstufungen oder Einschränkungen. Man könnte auch sagen: normative Festlegungen wie diese sind nicht verhandelbar.

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Der letzte Tante-Emma-Laden in unserem Veedel schließt. 40 Jahre lang hat die jetzt 75jährige Frau Bunsen den Laden geführt. Wir nannten sie nur unsere Fründin. Kein Einkauf bei ihr, ohne ein kleines Schwätzchen. Sie fragte nach unserem Häuschen in de Berje und sogar nach dem Schreiben; ich hatte ihr eines Tages das Tierbuch mitgebracht, auf das sie hin und wieder ansprach.

Der Laden war wegen seiner kommunikativen, familiären Atmosphäre beliebt. Oft trafen hier ältere Menschen zusammen, nicht so sehr wegen eines Einkaufs, sondern um zu reden. Fast immer war jemand da, wenn man zu ihr kam. Es gab für die Älteren einen Stuhl zum Sitzen und es konnte passieren, dass man ganz vergaß, was man eigentlich einkaufen wollte: ihre stets frischen, weißen Eier, die sie aus einer sicheren Quelle bezog; ihren gekochten Schinken oder den „Holländer“. Und natürlich gab es täglich frische Brötchen. Selbst unter den Schülern des nahegelegenen Gymnasiums hatte sie ihre Stammkunden. Scherzweise nannten diese ihre Schule Frau-Bunsen-Gymnasium.

Dieses Stück Veedel und damit Heimat geht jetzt verloren und damit ein Ort der Begegnung mit einer stets freundlichen Frau, die trotz ihrer zunehmenden körperlichen Gebrechen immer ein offenes Ohr für die Anliegen anderer hatte. Wir werden sie vermissen.

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In Köln gibt es seit Wochen intensive Diskussionen über die sog. Kölner Erklärung, die prominente Schriftsteller und Künstler als Reaktion auf die Kölner Silvesternacht verfasst haben. An dieser Diskussion beteiligen sich viele Gruppen und Einzelpersonen; ein insgesamt erfreulicher Tatbestand. Jetzt hat sich auch Manfred Kock, der ehemalige Ratsvorsitzende der EKD dazu geäußert. Er ist einer der wenigen, die sich zu den Ursachen der Gewaltexzesse geäußert haben. Er sagt: Was in den Herkunftsländern dieser Menschen passiert, ist ganz wesentlich Folge unserer Wirtschaftsordnung in einer globalisierten Welt. 60 % der jungen Menschen in Nordafrika sind arbeitslos und ohne berufliche Perspektive – egal ob in ihrer Heimat oder hier bei uns. Solche Verwerfungen haben mit uns und unserem Lebensstandard zu tun, an den wir uns als Wohlstandsgesellschaft gewöhnt haben. Die Armut in Nordafrika und anderswo ist die dunkle Seite unseres Reichtums.

 

 



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