Leseprobe: Ich habe mich selbst nie als Intellektuellen gesehen oder mich gar als einen solchen bezeichnet; auch war ich kein einseitiger Verstandesmensch (so die Definition in einem Deutschen Wörterbuch). Es wäre mir eine Schreckensvorstellung gewesen. Andrerseits bin ich jahrelang einer intellektuellen Tätigkeit nachgegangen. Die Art, wie ich mein Studium betrieb, kann man nur als theorielastig bezeichnen. Auch bei meinen ersten Publikationen handelte es sich um theoretische Beiträge, noch dazu in universitären Kontexten. Gleichwohl hatte ich zu Intellektuellen immer eine emotionale Distanz. Anfangs war es ein Unterlegenheitsgefühl. Ihre Art zu sprechen, ihre Distanziertheit, ihr Auftreten, – all das war mir fremd und schüchterte mich ein. Später, als ich die Mechanismen des intellektuellen Feldes besser durchschaute, wuchs in mir der Widerstand gegen bestimmte Verhaltensweisen: vor allem verabscheute ich ihren Hang zum Konformismus und die ausgeprägte Karriereorientierung. Wenn ich heute auf meinen intellektuellen Werdegang zurückschaue, stelle ich eine merkwürdige Ambivalenz fest: es gibt erstaunliche Kontinuitäten in dieser Biographie; z.B. das Festhalten an Themen und Personen. Und dann gibt es immer wieder Brüche. Um zu studieren, musste ich mein Herkunftsmilieu und den erlernten Beruf verlassen; später, beim Übergang zur Schriftstellerei, gab es einen weiteren Bruch mit dem Wissenschaftlerdasein. Und doch liest sich meine Biographie, als gäbe es darin eine bestimmte Zwangsläufigkeit, was die einzelnen Entwicklungsphasen betrifft; so als hätte eine Phase die nächste wie selbstverständlich abgelöst. Die vielen Zufälle, Unwägbarkeiten, Zweifel, Risiken – sie schienen keine Rolle zu spielen. Und doch waren sie ständig präsent und zeitweilig sehr dominant.
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